Author Archives: Sven Schumacher
Cochin
Cochin besteht aus mehreren Inseln, Halbinseln und den Stadtteilen auf dem Festland. Auf einer der vorgelagerten Halbinseln befinden sich die Viertel Fort Cochin und Matancherry. Hier herrscht ein buntes Durcheinander aus Vergangenheit und Gegenwart. Portugiesen, Holländer und Engländer haben ihre Spuren hinterlassen und es gibt ein jüdisches Viertel mit einer Synagoge. Die ersten Jahre nach seinem Tod war Vasco de Gama in Fort Cochin beigesetzt, bevor sein Leichnam nach Portugal überführt wurde. Wer Salman Rushdies Roman “Des Mauren letzter Seufzer” liest, wird in seiner Fantasie mit uns hier wandeln können.
Zur Kolonialzeit war Cochin ein Handelszentrum für die Gewürze Indiens. Schon vor den Europäern handelten hier Chinesen und Araber. Aus dieser Zeit stammen die chinesischen Fischernetze, die man heute noch an den Küsten Keralas findet.
In der letzten Woche des Jahres findet in Cochin ein Carnival statt, dessen Höhepunkt ein Umzug zum Neujahr ist.
Daher sind fast alle Homestays und Guest Houses ausgebucht und wir müssen in den Stadtteil Ernakulam auf dem Festland ausweichen. Für nur vier Rupies pro Person fahren wir mit der Fähre zwischen den Inseln und Festland hin und her.
Ernakulam ist hektisch und laut im Gegensatz zu Fort Cochin. Hier spielt sich das normale indische Geschäftsleben ab.
Morgen Abend werden wir Kerala mit dem Nachtzug Richtung Bangalore verlassen.
Zum Abschluss noch ein paar wissenswerte Fakten zu Kerala: Es ist der am dichtesten besiedelte Staat Indiens. Die Besiedelung ist zerstreut, im Gegensatz zum restlichen Indien. Das heißt, man hat selten abgeschlossene Ortschaften und unbesiedelte Landschaft, sondern eine ununterbrochene Bebauung. Keralas Alphabetisierungsrate liegt deutlich über dem indischen Durchschnitt, ebenso die Lebenserwartung, was an dem gut ausgebauten Bildungs- und Gesundheitssystem liegt. Landwirtschaft und Fischfang dominieren die Wirtschaft.
Alleppey
Weiter geht’s nach einer Woche im Ashram. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verlassen wir Amritapuri in Richtung Norden. Wir haben den Ort in den paar Tagen recht lieb gewonnen. Auf unserem Weg nach Kochim machen wir einen kurzen Stop in Alleppey (oder Allaphuzza). Von hier aus gehen viele Fähren, Bootstouren und Hausboote in die Backwaters. Wegen der Kanäle, die sich durch die Stadt ziehen, wird Alleppey auch oft als das “Venedig des Ostens” bezeichnet. Unser Zimmer liegt direkt an einem der Kanäle und man kann dem Treiben auf dem Wasser zuschauen.
In der Stadt ist gerade ein großer Markt mit Unmengen von Marktständen und einem kleinen Rummel. Wir verbringen den restlichen Tag damit, über den Markt zu laufen und uns die Stände anzusehen. Es werden Blummengirlanden geflochten, Schmuck und Kumkum (das Farbpulver für den Punkt auf der Stirn) angeboten.
Die Kinder lassen sich Hände oder Arme mit Henna tätowieren, es gibt Haushaltswaren, Spielzeug, Kleidung und natürlich jede Menge zu essen. Es ist gar nicht so einfach, den ganzen Verlockungen zu widerstehen. Zum Glück hatten wir schon vorher zu mittag gegessen. Aber bei dem frisch gepressten Zuckerrohrsaft und den gerösteten Cashewkernen können wir dann doch nicht dran vorbei.
Ein ganz normaler Tag im Ashram und ein nicht ganz normales Weihnachtsfest
Je nachdem, ob ein Darshan-Tag ist oder nicht, variiert der Tagesablauf leicht. An vier Tagen in der Woche umarmt Amma die Menschen, die zu ihr kommen. Die Amma-Highlights an den anderen Tagen sind gemeinsame Meditation am Strand sowie Singen in der großen Halle. Bei keiner der Veranstaltung besteht eine Anwesenheitspflicht, alles ist freiwillig und die Religion spielt dabei auch keine Rolle. Nebenher finden unzählige andere Veranstaltungen und Workshops statt, dass man es meistens erst mit bekommt, wenn es schon fast zu spät ist. Wir konzentrieren uns hauptsächlich auf den SEVA-Dienst, den Veranstaltungen mit Amma und die Unterhaltung mit anderen Besuchern.
Neben dem SEVA-Dienst kann man noch andere Dienste ausführen. Eine interessante Erfahrung ist die Unterstützung Ammas bei der Übergabe des Prasads. Prasad ist eine göttliche Speise, die während der Darshans von Amma ausgegeben wird. In diesem Fall handelt es sich um Süßigkeiten und etwas heilige Asche. Die Aufgabe ist, Amma die Prasads in die Hand zu reichen, während sie die Menschen umarmt. Dabei kniet man hinter ihr und konzentriert sich auf ihre linke Hand und wenn sie diese mit der entsprechenden Geste ausstreckt legt man das Prasad hinein. In ihrer Nähe spürt man ihre Ausstrahlung als ob eine Sonne voller Liebe das Innere von einem selbst mit Freude und Hoffnung erwärmt. Es ist unbegreiflich, wie ein Mensch ununterbrochen und unermüdlich so
viel davon von sich geben kann. Eine tolle Erfahrung.
Heiligabend feiern wir mit etwa 5000 anderen Menschen in der großen Halle. Es wird ein 1 1/2 stündiges Musical über das Leben von Franz von Assisi vorgeführt, welches einige der ausländischen Besucher einstudiert und live gesungen haben. Die Kostüme wurden alle selbst entworfen und genäht und sind, genauso wie die Choreografie, beeindruckend. Nach dem Musical folgen ein indischer Tanz und die Weihnachtsansprache von Amma. Nach dem gemeinsamen Singen endet die Feier gegen 1 Uhr früh mit einem Stück Schokoladenkuchen für jeden. Anschließend fallen wir hundemüde aber glücklich ins Bett.
Es mag sich nach einer Menge Stress anhören, wenn man von den vielen Menschen liest, die hier anwesend sind. Aber es ist erstaunlich, wie schnell sich die Schlangen z.B. an den Essensausgaben auflösen. Alle warten geduldig, bis sie an der Reihe sind.
Die Universität von Amritapuri
In unmittelbarer Nähe des Ashrams befindet sich die Universität von Amritapuri. Um dorthin zu gelangen, gehen wir über eine Brücke. Diese führt über die Backwaters, die den Küstenbereich vom Festland trennen. Im Falle eines Tsunamis können hier innerhalb einer halben Stunde 15000 Menschen evakuiert werden.
Die Universität wurde von den Stiftungen von Mata Amrithanandamayi Math gegründet. Wie das Ashram befindet sie sich mehr oder weniger mitten im Dschungel und ragt zwischen den Häusern des Dorfes empor.
Die Forschung der Fachbereiche dient der Verbesserung der Lebensumstände von Menschen in Not. Es werden Lösungen für die dringendsten Probleme in Bereichen wie dem Katastrophenschutz, Zugang zur Bildung für alle und die Heilung von Krankheiten erarbeitet.
Wie wir so durch die Flure schlendern und einen Blick in einen der Räume werfen, werden wir gleich freundlich von einer der Mitarbeiterinnen angesprochen. Wir befinden uns im Bereich der Bildungsarbeit und erhalten gleich eine kleine Einführung in die Arbeit, die dort geleistet wird. Es wird Software entwickelt und programmiert, die Unterricht über das Internet ermöglicht. Einer der Mitarbeiter erklärt uns, wie das virtuelle Klassenzimmer über die Software gesteuert wird. So können wenige Lehrer eine große Anzahl von Schülern über das Learning Management System A-VIEW unterrichten.
Damit wird eines der fünf Ziele der Hilfsorganisationen, Ausbildung, unterstützt. Die weiteren Ziele sind Nahrung, Obdach, Gesundheitsfürsorge und Lebensunterhalt.
Für Miriam ist diese Arbeit von besonderem Interesse, denn es ähnelt dem Aufgabenfeld ihrer ehemaligen Arbeit. Der Fachbereich e-Learning entwickelt nicht nur die Software sondern ist auch dafür verantwortlich, wie die Lerninhalte am Ende bei den Schülern ankommen. Prinzipien wie “Train the Trainer” und Online-Tests sind auch bei VW im Einsatz.
Meine Religion ist die Liebe. Amma
Es ist schon fast etwas schwierig, den Ort Amritapuri auf der Landkarte zu finden. Er zieht sich zwischen Küste und Keralas Backwaters am Strand entlang und besteht hauptsächlich aus kleinen Häusern, Fischerhütten und Palmen. Doch mittendrin befinden sich auf einmal mehrstöckige Gebäude, wie eine Insel im See. Es ist das Mata Amrithanandamayi Math Ashram, dass sich um Amma (Sri Mata Amrithanandamayi) gebildet hat.
Amma umarmt auf ihren Veranstaltungen die Besucherinnen und Besucher, manchmal bis zu 22 Stunden ohne Unterbrechung. Diese mütterliche Umarmung, die Darshan genannt wird, hat sie mit mehr als 34 Millionen Menschen auf der ganzen Welt geteilt. Wer Amma das Herz ausschüttet, erhält Trost, spirituelle Führung und konkrete Lösungen für Probleme. Und da Amma zur Zeit im Ashram ist haben wir uns auch gleich umarmen lassen.
Auf dem Gelände des Ashrams leben etwa 3000 Menschen durchgängig. Dazu gehören Mönche, Nonnen, Schüler und Familien sowohl aus Indien, als auch aus dem Ausland. Zu dem Ashram gehören eine ayurvedische Klinik, eine Wäscherei, ein Schneider, eine Bank, ein Bioladen, ein Haushaltswarengeschäft und mehrere Kantinen (falls man sich neben dem normalen Essen noch mit Süßigkeiten, Eis, Obst, Keksen etc. eindecken möchte). Es finden Yoga, Taiji und andere Workshops statt.
Die nichtstaatliche Organisation Embracing the World ist das globale Netzwerk von Hilfsorganisationen, deren Inspirationsquelle das humanitäre Werk des Mata Amrithanandamayi Math in Indien ist. Ziel ist es die Not der Armen in der Welt mit Blick auf die fünf Grundbedürfnisse – Nahrung, Obdach, Gesundheitsfürsorge, Ausbildung und Lebensunterhalt – in 6 Kontinenten zu lindern, wo und wann immer dies möglich ist.
Da das Ashram zu den heiligen Orten zählt ist es nicht erwünscht, dass man Photos macht. Wenn ihr mal sehen wollt, wie es hier aussieht, dann werft einen Blick auf die Internetseite. Von dort stammen auch die Fotos, die ihr in diesem Beitrag seht.
Damit es möglich ist, dass Ashram allen zugänglich zu machen und die Preise für die Übernachtungen so niedrig wie möglich zu halten, ist jeder aufgefordert, seinen Teil dazu beizutragen. Dieser Volontärdienst wird SEVA genannt. Unser SEVA ist das tägliche Vorbereiten des Gemüses für die Mahlzeiten des nächsten Tages. Gemeinsam mit etwa zwanzig anderen Besuchern schnippeln wir zwei Stunden lang Karotten, Kürbisse und Co. Dabei kann man prima Kontakte zu den anderen Besuchern knüpfen und sich unterhalten.
Da es hier ruhig und entspannt zu geht werden wir hier noch bis zu den Weihnachtsfeiertagen bleiben und die nähere Umgebung zu Fuß erkunden.
Kollam
Wir widerstehen den Verlockungen des Strandlebens und fahren gen Norden weiter.
Es steht die erste Zugfahrt in Indien auf dem Programm. Ein starker Gegensatz zu Sri Lanka. Das Eisenbahnnetz in Indien ist das viertdichteste weltweit und man reist mit ähnlichen Geschwindigkeiten wie in Deutschland. Zum Eingewöhnen dauert die Zugfahrt nur eine gute halbe Stunde.
Zufällig sitzt neben Miriam eine Inderin, die uns gleich auf deutsch anspricht. Die Dame ist eine Ordensschwester und hat vor dreißig Jahren eine Ausbildung zur Altenpflegerin in Fulda absolviert.
In Kollam selber gibt es keine nennenswerten Sehenswürdigkeiten. Hier ist einer der Ausgangspunkte für Hausbootfahrten in Keralas Backwaters. In den kleinen Straßen tummelt sich das typisch asiatische Geschäftsleben. Zwischen den neuen Häusern stehen immer wieder ältere Gebäude mit hübschen Holzverzierungen. Wir nutzen die Gelegenheit und kaufen uns endlich ein paar Meter Seidenstoff, aus denen wir uns gleich leichte Schlafsäcke für die längeren Zugfahrten und Hotels ohne Zudecken nähen lassen.
Die nicht sehr umweltfreundliche Sitte in den Restaurants Folien über die Teller zu ziehen, wie es in Sri Lanka der Fall war, finden wir in Indien zum Glück nicht wieder. Hier werden die Speisen ganz normal auf Tellern, Edelstahltabletts oder Bananenblättern serviert.