Von Huế nach Hà Nội sind es noch einige Kilometer, die wir mit dem Nachtzug hinter uns legen wollen.
Das erste Stück der Strecke haben wir das Abteil sogar für uns alleine; erst um Mitternacht kommen noch zwei weitere Fahrgäste in die Sechser-Kabine.
Kurz vor dem Sonnenaufgang erreichen wir pünktlich nach Fahrplan den Hauptbahnhof von Hà Nội. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass der Zug von Saigon nach Hà Nội an die zwei Tage unterwegs ist.
Vor dem Bahnhof herrscht trotz der frühen Morgenstunde schon reges Treiben. Die Taxifahrer kennen natürlich die Fahrpläne in- und auswendig und wer wie wir gehen möchte, der muss sich erst mal durch eine Traube von Chauffeuren kämpfen, bevor es in die Stadt geht.
Hà Nội ist eine der dienstältesten Hauptstädte Asiens, die im Laufe der Geschichte häufig von verschiedenen Invasoren erobert und umbenannt wurde. Ihren heutigen Namen, der übersetzt “Stadt innerhalb der Flüsse” heißt, erhielt sie 1831. Hier erklärte Hồ Chí Minh die Unabhängigkeit Vietnams und Hà Nội wurde die Hauptstadt des Nortvietnam, was sie auch nach der Wiedervereinigung blieb. Die Einwohnerzahl der Metropolregion liegt etwa bei sieben Millionen und macht die Stadt damit zur zweitgrößten des Landes.
Der Bereich der Altstadt besteht aus zwei Teilen. Zum einen das Viertel Alt-Hà Nội mit seinen schmalen Gassen
und dicht bebauten Straßen aus der Zeit noch vor der Kolonialära.
In denen von Bäumen beschatteten Straßen
reihen sich die kleinen Läden aneinander.
Motorroller, Fahrräder, Rikschas und Fußgänger scheinen auf den ersten Blick unkoordiniert herumzuwuseln.
Dazwischen entdecken wir immer wieder kleine farbenfrohe Tempel,
die zwischen den Wohn- und Geschäftshäusern eingezwängt ganz und gar in das Alltagsleben integiert zu sein scheinen.
In Hà Nộis größter überdachter Markthalle aus dem Jahr 1889, dem Chợ Đồng Xuân,
gibt es gleich über drei Etagen Unmengen von Kleidung, Stoffen und Schuhen für Großhändler.
Unser kleines Hotel, mit gerade mal sieben Zimmern, liegt am Rande von Alt-Hà Nội. 20 m entfernt steht die 129 Jahre alte römisch katholische St. Joseph Kathedrale, deren Glocken alle 1/4 Stunde erklingen. Bei der Messe am Sonntag drängen sich hunderte von Gläubigen vor dem Gotteshaus, um der Predigt, den Kirchengesängen und dem Umzug beiwohnen zu können.
Einige Meter weiter befindet sich der Hoan-Kiem-See, in dessen Mitte der Schildkröten-Turm auf einer kleinen Insel steht. Der Sage nach erhielt hier der Fischer Le Loi von einer großen goldenen Schildkröte ein Zauberschwert, mit dem er die Truppen der Ming-Dynastie vernichtend schlagen konnte. Er ernannte das Tier zum Schutzgeist des Sees und ließ ihr zu Ehren den Turm erbauen.
Eine rote Brücke führt zu dem Jadeberg-Tempel, in dem eine 2,10 Meter lange und 250 Kilogramm schwere Schildkröte ausgestellt wird, die 1968 dort gefangen wurde.
Der See bildet die Grenze zum zweiten Bereich der Altstadt, dem französische Viertel. Dort ließen die Kolonialherren ihr Verwaltungszentrum für Französisch-Indochina entstehen.
Sie legten breite baumbestandene Alleen im rechtwinkligen Raster an, erbauten Luxusvillen, Regierungsbauten und öffentliche Gebäude wie die Oper
und das Wasserpuppen Theater.
In einigen der alten Häuser sind Shoppingmalls eingezogen,
die bei abendlicher Beleuchtung ein beliebter Photohintergrund für Hochzeitspaare sind.
An einem der Kaufhäuser begegnet uns gleich ein ganzes Dutzend frisch Vermählter.
Immer wieder sehen wir, dass bei den Schreinen
oder am Straßenrand Geldscheine verbrannt werden. Dies sind Opfergaben für die Verstorbenen, damit diese Geld im Leben nach dem Tod ausgeben oder die Wächter des Jenseits bestechen können, um auf die Erde zurück zu kehren. Die aus China stammende Tradition ist schon tausende Jahre alt und wird mittlerweile portemonnaieschonend mit Geld-Kopien durchgeführt.
Vielleicht spekulieren die Ahnen ja auch an der Börse,
die sich wie das historische Museum ebenfalls im französischen Viertel befindet.
Anstelle von Propaganda Plakaten schmücken Blumengestecke die Straßenzüge und Plätze.
Hier arbeiten die Mädchen ganz nach Plan daran
das Stadtwappen blumig darzustellen.
Hà Nội liegt am Ufer des Roten Flusses.
Die Idylle auf dem Plakat trügt leider etwas, denn die Realität sieht ernüchternder aus.
Der Rote Fluss ist berüchtigt für seine Hochwasser und wurde schon im elften Jahrhundert eingedeicht. Durch den starken Sedimenteintrag, der in den letzten Jahren stetig ansteigt, liegt der Flusslauf zwischen den Deichen an manchen Stellen mittlerweile höher als das umliegende Land.
Direkt am Lenin-Park liegt die chinesische Botschaft, wo wir unsere Visa-Anträge abgegeben haben.
In der Nachbarschaft befinden sich noch weitere Botschaften, unter anderem auch die Deutschlands,
die sich, wie die meisten anderen Konsulate auch, in einer alten Kolonialvilla befindet.
In der Hauptstadt verschmelzen die unterschiedlichen Epochen auch miteinander,
doch als wir mit dem Bus zur Bank fahren, um die Visa Gebühr für China zu begleichen, kommt es uns vor, als ob wir in einer ganz anderen Stadt wären.
Wenn es Nacht wird am Hoan-Kiem-See
und die Temperaturen etwas milder werden, dann erobern die Sportler und Jogger die Wege und Parks.
Auf den Straßen geht der Verkehr unterdessen munter weiter.