Kasten und Tikas

Wer an Indien denkt, denkt unweigerlich auch an das Kastensystem, zumindest bei uns sind die beiden Begriffe eng miteinander verbunden. Aber trotz allem, was wir bis jetzt in Deutschland darüber gelesen oder gehört hatten, bleibt für uns Aussenstehende die Kastenordnung unsichtbar. Was auch immer man sich darunter aus der Ferne vorstellt, das alltägliche Leben scheint ganz normal abzulaufen.

Doch auch wenn sich bereits Gandhi für die Abschaffung der Kasten einsetzte und alle Benachteiligungen durch das System mittlerweile gesetzlich verboten sind, so ist es aus dem praktischen Leben nicht völlig verschwunden.

Aber was bedeuten die Kasten überhaupt? Zunächst gibt es die vier Hauptkasten, die Varnas. Die Bezeichnung Varna stammt aus dem Sanskrit und bedeutet Klasse oder Stand aber auch Farbe.
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Die höchste Kaste ist die der Brahmanen, die weiteren folgen in ihrer Rangfolge.

Die Brahmanen sind traditionell die intellektuelle Elite und Priester, die die heiligen Schriften auslegen. Diese Kaste ist vergleichbar mit unserem Klerus.

Der Kaste der Kshatriyas gehören Krieger, Fürsten und höhere Beamte an und ist ähnlich unserem Adel.

Die Vaishyas sind Händler, Kaufleute, Grundbesitzer und Landwirte und entsprechen unserem Bürgertum.

Die vierte und unterste Kaste sind die Shudras, die Handwerker, Bauern und Tagelöhner.

Unter den vier Hauptkasten stehen die “Unberührbaren”, die auch als Parias oder Harijans bekannt sind.

Die Varnas werden in Jatis untergliedert, die wiederum einer bestimmten Rangordnung unterliegen. Die Jatis sind soziale und familiäre Verbindungen, Clans oder Berufsgruppen und erinnern in etwa an die mittelalterliche Ständerordnung in Europa. Es gibt ca. 3000 Jatis, deren Zugehörigkeit unter anderem an dem Nachnamen erkannt werden kann. Früher war mit dieser Zugehörigkeit eine strenge Heiratsordnung verbunden, an der auch heute noch des öfteren festgehalten wird. Der Aufstieg eines Einzelnen aus dem Jati ist nicht möglich, wohl aber der Aufstieg eines gesamten Jatis, wenn Rituale, Symbole und Lebensstil eines höheren übernommen werden.

Die Zugehörigkeit zu einer Kaste ist nicht automatisch mit arm oder reich gleichzusetzen. Die Chancen auf Wohlstand für die untersten Kasten sind natürlich am geringsten, da ihnen der Zugang zu Bildung und den entsprechenden Berufen verwehrt ist, aber die Möglichkeit besteht, so wie es auch unter den Brahmanen viele mittellose Familien gibt.

In Europa ist der Irrglaube weit verbreitet, dass die Stirnpunkte die Kastenzugehörigkeit kennzeichnen, doch dies ist nicht so. Die sogenannten Bindis und Tikas haben eine andere Bedeutung.
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Ein Bindi ist ein aufgemalter runder Punkt zwischen den Augenbrauen. Früher wurden die Punkte nur von verheirateten Frauen getragen, um sich und ihren Ehemann zu schützen.
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Heute ist es Mode, den Punkt zu tragen und man sieht ihn auch bei unverheirateten Frauen, jungen Mädchen, Kindern und Männern.
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Das Bindi wird auch als Schmuck getragen, der anstelle des Farbpunktes aufgeklebt wird.
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Für verheiratete Frauen ist er aber weiterhin obligatorisch und wird erst als Witwe abgelegt.

Das Bindi ist eine spezielle Form des Tika. So nennt man die verschiedenen Segenszeichen der Hindus, die zum Abschluss einer hinduistischen Zeremonie oder zu anderen feierlichen Anlässen mit Pulverfarbe auf die Stirn gemalt werden.
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Ein Tika oder auch Tilaka kann ein Punkt sein oder auch ein waagerechter oder senkrechter Strich, es markiert das Energiezentrum, das “dritte Auge”, das sich an dieser Stelle befindet und beschützt es so. Da es ein Segenszeichen ist kann es von Frauen, Männern und Kindern gleichermaßen getragen werden.
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Auch bei den Tikas wird es noch beliebig kompliziert, denn es gibt noch einige andere Formen und Varianten, die die Religionszugehörigkeit bzw. die verehrten Götter kennzeichnen.
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